„HERMETICA“ 2018 | FILM by Leyla Rodriguez
HD | 05:15 min.| color | stereo
Der 2018 fertiggestellte Film Hermetica bildet den zuletzt abgeschlossenen Teil einer Reihe von insgesamt sechs Kurzfilmen, die Leyla Rodriguez von 2015–2018 umgesetzt hat. Auf einer inhaltlichen, bildlichen und musikalischen Ebene greifen die Filme engineinander, dabei müssen sie jedoch nicht chronologisch oder zusammenhängend rezipiert werden um ihr narratives Potenzial zu entfalten.
Hermetica beginnt mit einer (für Rodriguez Filme typischen) zwischen Melancholie, Euphorie und ästhetischen Beobachtungen changierenden Sequenz. Während im Hintergrund die Tante der Künstlerin mit unsichere Stimme Wanders Nachtlied von J.W. v. Goethe komponiert von Franz Schubert singt werden verschiedene Einstellungen eines Hubschraubers und einem fliegenden Vogelpaar vor einer in der Ferne liegenden dunstigen Stadtlandschaft gezeigt. Die Bilder sind so komponiert, dass der Eindruck entsteht, Vögel und Hubschrauber wären vor einem strahlend blauen Himmel Teil einer eigenen Choreografie. Bis auf den anhaltenden Gesang gibt es dabei keinen Ton, so dass der Fokus auf dem Flug des Hubschraubers und den gleichmäßigen Bewegungen seiner Rotorenblätter liegt. Die Erwartung eins lauterwerdenden Proppelergeräuschs wird nicht eingelöst und so entwickeln die Bewegungen des Hubschraubers in ihrer Lautlosigkeit eine Analogie zu dem tanzenden Zusammen- und Außeinanderdriften der Vögel.
Die Sequenz schwenkt auf eine bewachsene Anhöhe außerhalb der Stadt, auf der die Künstlerin, in ein folkloristisches Tischtusch vermummt, steht und dem sich entfernenden nun knatternden Hubschrauber hinterherblickt. In dieser nur sehr kurzen Einstellung entwickelt der Film vielschichtige selbstreferenzielle Momente. So werden ein Betrachterstandpunkt und Rückschlüsse auf die Entstehung der zuvor gegangenen filmischen Aufnahmen suggeriert und offenbaren vielschichtige Ebenen von Illusion und der Produktion von Bildern.
In einem abgerissenen Übergang beginnt in kaum merklicher Zeitraffer eine Fahrt durch einen grünen Wald und zeigt aus einer leichten Untersicht dichtgewachsene sich in den Himmel erstreckende Tannen. Die Wahl der Einstellung erinnert an Darstellungen in der sogenannten Froschperspektive der frühen 1920er Jahre. Jedoch liegt der Fokus hier vielmehr auf einem romantischen Bild von Natur als heilendem und intaktem Rückzugsort. Der Eindruck wird verstärkt durch eine begleitende kraftvolle Melodie auf dem Klavier, gespielt von der Großmutter der Künstlerin. Im Mittelteil des Filmes folgt eine Reihe sich überlagernder Bilder, verschiedener Tiere und Personen in unterschiedlichen räumlichen Konstellationen. Dabei ist es kaum möglich Einzelheiten zu fokussieren und es entsteht der Eindruck einer Zusammenfassung, die zu keinem Ende kommt und in einer bejahenden Geste einen unendlichen Kreislauf entwirft. Als eine Art rahmende Einheit wird anschließend wieder der Wald gezeigt und auf dem Klavier Beethovens weltberühmtes Stück Für Elise gespielt.
Während die Musik fortläuft endet Hermetica mit einer Sequenz, die eine Gestalt, bekleidet mit einem pinken Hut, einer dunklen bestickten Maske und einem engen silbernen Rock über Schultern und Armen am Strand zeigt. Zuvor war sie bereits in kurzen Einschüben mit einer großen aufblasbaren Weltkugel zu sehen, die sie in der Mythologie des Atlas über ihrem Kopf empor hielt. Nun sitzt sie abwechselnd vor und in einer Hütte aus verblichenem Treibholz. Die Stämme sind nicht in Bretter zersägt worden und erscheinen wie eine Fortsetzung und gealterte Version des Waldes. Parallel werden Bilder zweier Ölgemälde in einem Museum eingeblendet. Das eine zeigt einen knorrigen ausladenden Baum, das andere eine kleine Holzkate in einer bergigen Landschaft. In Struktur und Beschaffenheit gehen die beiden Darstellungen eine visuelle Verbindung mit der Hütte am Strand ein. Im selben Moment wird jedoch eine Diskrepanz deutlich, die die Malereien im Museum als Teil einer bürgerlichen Ordnung festlegt, während die Hütte am Strand, ihre Entstehung und Nutzung unbeantwortet bleibt.
In der letzten Einstellung legt sich die Figur schließlich etwas unbeholfen an den Rand der Meeresbrandung, als hätte sie etwas fertiggestellt das sie seit langer Zeit beschäftigt hat. Rodriguez ruft hier noch einmal die für sie eng miteinander verbundenen Themen von Identität, Familie, Flucht und Heimatlosigkeit auf und verweist auf ihre parallele Existenz in einem gegenwärtigen Kontext.
Von Rosa Windt